Er hatte den schönsten Schnauzbart im ganzen Schnalstal. Voller Stolz stand er nun an meiner Schwelle, der Anton Raffeiner, der dritte.
In seiner linken Hand hielt er den Schlüssel zu meiner schweren, schiefen Holztüre. Fest umschlossen. Ganz so, als könne er sein Glück kaum fassen. In der rechten lagen die zarten Finger seiner Aloisia, die mit ihren moosgrünen Augen schon so manchem Schnalstaler den Kopf verdreht hatte. Die beiden schauten sich an und sie schauten mich an. Jeden Winkel und jede Ecke begutachteten sie. Schließlich gehörte ich jetzt ihnen. Ihre Nachkommen machten aus mir altem Bergbauernhof, der seit 1581 hier oben im Schnalstal steht, ein Haus für besondere Leute aus aller Welt. Aber diese Geschichte wäre nicht gut, hätte es nicht das eine oder andere Hindernis aus dem Weg zu räumen gegeben …
Der dritte Anton vermietet Zimmer an die wilden Bergsteiger.
An Talent und Geschick mangelte es dem guten Anton Raffeiner, den dritten nicht, an Tüchtigkeit ebenso wenig. Aber irgendwie wollte es einfach nicht mehr klappen, mit dem Traum vom großen Geschäft mit den schönen Schuhen. Wieso, warum und weshalb könnt ihr an dieser Stelle genau nachlesen. Alles, was sein schnauzbärtiger Großvater und dessen Sohn aufgebaut hatten, schien nun den Schnalserbach hinabzugehen. Und so kam es, wie es manchmal eben kommt: Entscheidungen wollten getroffen und aller Mut zusammengenommen werden. Schuhmachermeister Anton der Dritte sattelte um. Die Werkbänke mussten weichen. An ihrer Stelle standen bald Betten für die Gäste, die scharenweise ins Schnalstal strömten, um auf die wunderschönen Gletschergipfel zu steigen. Der Rest ist Geschichte. Die meine und jene der Familie Raffeiner. Wenn ihr mögt, erzählen euch meine Hofleute von den Irrungen und Wirrungen, den kleinen Romanzen und großen Begebenheiten, die sich seither bei mir abgespielt haben. Wisst ihr eigentlich, dass unweit von hier der legendäre Ötzi gefunden wurde?
Ein Hof wächst über sich hinaus. Der Oberraindlhof und die Moderne.
Die 1970er waren eine lustige Zeit. Die jungen Leute trugen bunt gemusterte, weite Hosen und manchmal sogar Blumen im Haar. Das sah der Dorfpfarrer gar nicht gerne. Zu mir in die Gaststube kam er trotzdem. Zum Braten essen und Weintrinken und Kartenspielen und manchmal auch, um das Tanzbein zu schwingen. Nicht nur hier im Tal war ich für diese Dinge bekannt, mein Ruf schallte raus in die weite Welt. Von dort her kamen nämlich die vielen Gäste, die fortan in frisch renovierten Zimmern residierten. Und so durfte ich wachsen. Ich bekam einen Zubau und einen Wintergarten und 2006 schenkten mir die Raffeiners mit dem neuen Holzhaus so etwas wie einen kleinen Bruder. Zehn Jahre später wuchs der um 9 Zimmer und sogar einen Wellnessbereich. In den Jahren 2019 bis 2021 rumpelte und rumorte es ordentlich, da in meinem Bauch. Mit viel Verstand und Herz und Behutsamkeit machten sich Fachleute daran, meine historischen Zimmer zu renovieren. Und da bin ich also. Im Hier und Jetzt. Und lasst euch sagen: Ich kann die Zukunft kaum erwarten. Wie steht's um euch?